Sonderbeitrag

Frankreich zwischen Tradition und Disruption – Frankreichs Europapolitik und Emanuel Macron

Am 4.Juni hielt der ehemalige Direktor des „Institut Français“ (Bonn), derzeit Leiter für die wissenschaftliche und akademische Zusammenarbeit an der französischen Botschaft in den Haag, Dr. Landry Charrier, einen Vortrag über das Thema „Zwischen Tradition und Disruption - Frankreichs Europapolitik und Emmanuel Macron.“

Charrier gab eine präzise Analyse über die Lage in Frankreich kurz vor der Wahl zur Nationalversammlung in Frankreich (19.Juni).

Der Ausgang der französischen Parlamentswahlen vom 19. Juni kommt gemäß der Einschätzung vieler Experten einem Erdbeben gleich. Dem französischen Präsidenten blieb die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verwehrt:  Macrons Bündnis „Ensemble“ landete mit 245 Sitzen sehr deutlich hinter den 289 Sitzen, die dafür nötig wären. Die zweite Kraft wurde Jean Mélenchons Linksbündnis „Nupes“. Besonders erstarkt ist auch die Rechtspopulistin Marine le Pen, die die Zahle ihrer Abgeordneten verzehnfachen konnte. Präsident Macron wird in seiner zweiten Amtszeit von nun an Allianzen schmieden müssen, was in Zukunft seinen eher „zentralisierten“ Regierungsstil erschweren wird.

In seiner Rede nahm Charrier Bezug auf das Buch des schweizerischen Historikers Herbert Lüthi, das 1954 unter dem Titel „Frankreichs Uhren gehen anders“ veröffentlicht worden war. (Lüthi hatte damals in seinem vieldiskutierten Buch geschrieben, jede neue Regierung in Frankreich sei im Laufe von zwei Jahrhunderten mit einem Programm umfassender Staats-,Verwaltungs - und Justizreformen zur Macht gekommen EH). Desgleichen verwies der Referent auf die dreiteiligen Kriegsmemoiren  „Memoires de Guerre“ von General de Gaulle, an dem sich Macron immer wieder orientiert habe. So habe Präsident Macron in der Phase seiner Präsidentschaft 2017/18 und 19 häufig Bezug genommen auf General De Gaulle und dessen „Vision“ von  Europa.  „Präsident  Macron ist der Präsident der ‚gaullistischen Gravitas‘.  Er will mehr Zentralisierung und hat die parlamentarischen Reformen zur Seite geschoben,“ so Charrier. In seiner Rede vor dem Eiffelturm nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen (24.April) versprach Macron allerdings eine parlamentarische Systemreform, weniger Kontrolle und mehr Partizipation. Er fügte damals außenpolitisch hinzu, dass die „Grandeur die Kraft Europas“ bleiben werde.

In seinen „Memoiren“ hatte  General de Gaulle im 1. Kapitel geschrieben: „Ohne Grandeur kann Frankreich nicht sein.“ Er sprach von einer Allianz souveräner Nationalstaaten in Europe. Auch für Macron, so Charrier, „ist die Tradition des Europas der Vaterländer wichtig.“ General De Gaulle habe mit seinen politischen  Alleingängen oft wenig bewirkt. „Unabhängigkeit“ war ein roter Faden des französischen Präsidenten De Gaulle, der in den 60er Jahren die Sonderrolle Frankreichs, dessen Unabhängigkeit von den USA, verbunden mit dem Plan des Aufbaus der „nuklearen Force de Frappe“ verband. Die Idee eines „Europe puissance.“  Charrier führte ein Zitat des ehemaligen französischen Außenministers  Michel Barnier an, der 2004 von der „EU als natürlicher Multiplikator unseres Einflusses“ sprach und hinzugefügt hatte, „NATO war nur eine Zusatzversicherung für Frankreich.‘“


Zunehmende Polarisierung der französischen Gesellschaft

„Die politische Grandeur“, so Charrier „ist Teil des Selbstverständnisses Frankreichs, seine DNA.“ Macron setze auf den Aufbau eines „Beziehungsnetzwerkes und zur Not werde Frankreich Alleingänge machen.“ Charrier verwies u.a. auf die Russland Initiative Macrons, die dieser am 31. August  2019 vorgestellt hatte, ohne  vorher mit den europäischen Partnern darüber zu konsultieren. Der Präsident setze auf  Detente und  Entente und Kooperation.
 

Das Prinzip der „Grandeur“

Das Prinzip der „Grandeur“ bei Macron war z.B. dessen Rede vor der Sorbonne im September 2017, in der er seine Vision Europas entwickelte und von einem „strategisch souveränen Europa“ sprach, das geeint ist auf der Grundlage einer gemeinsamen Sicherheits-, Außen- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit. Man erinnere, dass in seinen Kriegsmemoiren 1.Kapitel General de Gaulle von einem „Une Europe pleinement puissante dans le monde et pleinement souveraine,“gesprochen hatte. 

Die letzte Phase von Macrons erster Amtszeit war jedoch von einer zunehmenden „Polarisierung“ der französischen Gesellschaft bestimmt (der Gelbwesten Protest sei dabei nur ein Symptom ist für die wachsenden sozialen Spannungen). Dies falle zusammen mit einer hohen Arbeitslosigkeit , einem wachsenden Staatsdefizit und einer  immer stärker werdenden Reaktion gegen den Regierungsstil von Präsident Macron, der von einigen als „autokratischen Pharao“ bezeichnet wurde. 

Im gegenwärtigen Konflikt (Ukraine Krieg) werde die Frage sein, ob Deutschland und Frankeich zusammen etwas tun können. In seinem berühmten Roman „Sternstunden der Menschheit“ habe Stefan Zweig geschrieben, Europe lerne aus der Krise. Die Frage wird daher sein, ob es Deutschland und Frankreich gelingen wird, Ost - und Mitteleuropa zu überzeugen, dass eine Lösung mit Russland gefunden werden muss.


Lebhafte Diskussion

In der lebhaften Diskussion wurden Fragen nach der gegenwärtigen innenpolitischen Situation Frankreichs gestellt, verbunden mit der Frage, dass Macron als „Visionär“ vom Volk nicht verstanden werde. Charrier sprach von einem derzeit tief „gespaltenen“ Frankreich, was in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen (24.April) deutlich geworden sei:  25% hätten für Macron; 25% für le Pen und Zeymour gestimmt. 6% der Wähler  würden sich mit niemandem identifizieren  und insgesamt hätte eine hohe Prozentzahl von Jungwählern gar nicht erst gewählt. Ein Großteil der Bevölkerung (etwa 25%) sei der Auffassung, dass sich Macron in der Ukraine Frage weit aus dem Fenster gelehnt habe. Für die Mehrheit der Franzosen ist die Stabilität im Lande primär, gefolgt von der Lage in der Ukraine, wo Frankreich wie Charrier ausführte, jüngst mit der Lieferung von Panzern und Artillerie der Ukraine geholfen habe. „Aus deutscher Perspektive ist dieser Krieg in der Ukraine ein Krieg in Europa, aus französischer Sicht ist es ein Krieg an den Toren Europas.“

Andere Diskussionsteilnehmer stellten die Frage nach der Zukunft der „rüstungspolitischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich, PESCO und nach der Rolle der Force de Frappe für Deutschland. Wichtige Autoren wie Klaus von Dohnanyi und Josef Braml sprächen in ihren Büchern von der wachsenden „führungspolitischen“ Rolle Frankreichs in der Europäischen Sicherheitspolitik. Andere Diskutanten hielten dem entgegen, dass „die nukleare Teilhabe“ der USA an Deutschlands Sicherheit nicht zur Disposition gestellt werden dürfe.

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