Sonderbeitrag

Krisenstimmung August 2012 - Echo eines Sommer- Gesprächs

Im August hatte der Mid-Atlantic-Club in Bonn zum alljährlichen Sommergespräch geladen. Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, ehemalige Militärs und Diplomaten mit großer internationaler  Erfahrung und zahlreiche Gäste waren zum informellen Gedankenaustausch gekommen. Als Gastredner war der Europa-Abgeordnete Axel Voss, CDU, geladen, um über die Arbeit des europäischen Parlaments Auskunft zu geben. Im Mittelpunkt der Erörterungen standen das Thema der Eurokrise, der Schuldenabbau Griechenlands und die laufenden Reformbemühungen. Die Temperaturen waren hochsommerlich warm, die Dimension aktuell schwer lösbarer Wirtschaftsprobleme schweißtreibend und dem Abgeordneten Voss, der seit 2009 im Europaparlament sitzt, wurden viele zugespitzte Fragen gestellt.

Foto: Europa-Abgeordnete Axel Voss

Europa-Abgeordnete Axel Voss

 

wir haben auf einmal 80 Millionen Währungsexperten in Deutschland

In seinem Einleitungsvortrag gab Friedhelm Ost, Wirtschaftsberater und ehemaliger Staatssekreträr im Bundespresseamt der Regierung Kohl, etwas von der gegenwärtigen Spannung im politischen Führungsgeschäft wieder. Dazu gehört eine Fülle widersprüchlicher Vorschläge zur Lösung der Schulden- und Eurokrise („wir haben auf einmal 80 Millionen Währungsexperten in Deutschland“), bedenkliche Zahlen zur deutschen Verschuldung („Staatsverschuldung gegenwärtig über 2 Billionen und eine Nachhaltigkeitslücke [offizielle und unsichtbare Zahlungsverpflichtungen des Staates in der Zukunft A.H.] von 5 Billionen“), jährliche Zinszahlungen von über 60 Milliarden und nur 40 Milliarden für staatliche Investitionsvorhaben („Ist dies unsere Zukunft? Und das bei nur 0,3 Prozent Wachstum?“). Das eigentlich Erschreckende des Überblicks milderte Ost mit viel Ironie und Humor ab und er erwähnte nicht zufällig Heinrich Heines Reisebilder (eine scharfzüngige Beschreibung des Provinziellen im deutschen Charakter durch den Meister der Satire und des Witzes). Friedhelm Ost ironisierte, dass allein die Energiewende in Deutschland schon 300 Milliarden verschlungen habe und die „einzigen, die wirklich durch die Windräderparks fett werden, sind die Füchse: durch das von den Rotoren erschlagene Flugwild“.

 

wie geht es weiter mit Europa, was wird mit Griechenland, welche finanziellen Rettungsschirme werden funktionieren?

Axel Voss stellte die Arbeit des europäischen Parlaments im Zusammenhang mit der Frage: wie geht es weiter mit Europa, was wird mit Griechenland, welche finanziellen Rettungsschirme werden funktionieren?  Deutlich wurde die Vielzahl von wichtigen und weniger wichtigen Tätigkeiten, die als Abgeordneter zu regeln sind. (Wie viel Zeit verbleibt einem derart in zahllosen Verpflichtungen zwischen Brüssel, Straßburg und Bonn eingepferchten Abgeordneten-Dasein übrig, über die Lösungswege, etwa der Eurokrise, nachzudenken?) Er sprach sich für den Erhalt des Euro aus, aber verwies auf die unterschiedlichen Bewertungen des Euro (aufgrund unterschiedlicher Leistungsfähigkeiten der verschiedenen europäischen Volkswirtschaften) und den daraus historisch entstandenen Verzerrungen in der Eurozone hin. Er forderte die Griechen zu stärkeren Reformbemühungen auf, sonst werde es kein Geld geben.

Zum Thema europäischer Bankenkontrolle („Bankenunion“) wollte er sich nicht näher äußern („noch nicht durchdiskutiert“). Deutlich benannte er die Spannungen bei ideologisch umstrittenen Themen unter den Abgeordneten verschiedener Parteien („kein Ort für parteiübergreifende Gespräche außerhalb des Parlaments“) und bestätigte damit indirekt die wachsenden Ressentiments zwischen den Völkern, aufgestachelt durch mediale Scharfmacher („Quarto Reich“ – titelte Berlusconis Zeitung „Il giornale“ in Anspielung auf Merkels damalige Ablehnung, dass durch die EZB Anleihen aufgekauft werden sollen). Voss äußerte sich kritisch über die gemeinsam von Deutschland und Frankreich „erzwungene“ Missachtung der Maastrichter Verschuldungskriterien (keine Sanktionen gegen die „Sünder“ Deutschland und Frankreich nach 2005, wo Deutschland 3 Jahre hintereinander die Verschuldungsgrenzen verletzt hatte). Denn damit sei das Vertragsrecht aufgeweicht worden. Aber auch Warnungen waren zu vernehmen, über die Folgen der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Spanien oder Griechenland und über eine Radikalisierung wachsender Proteste bei zu starken „Radikalkuren“.

 

Weg mit den „toxischen Finanzprodukten“- Stärkung der Realwirtsch

Auf seiner Webseite analysiert Voss (Juni 2011) den Beginn der Krise: „Im Herbst 2008 begann mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA und dem folgenden Zusammenbruch der US-amerkanischen Bank Lehman-Brothers die weltweite Finanzkrise.“ Er beschreibt die Ausweitung auf den internationalen Märkte und  drohende Insolvenzen der Banken. Die Überlegungen zu neuen Lösungsansätzen („Konsolidierungsbemühen“, „Sparen“ und „Wachstumsimpulse“ et cetera) lassen viele Fragen offen und benötigen offenkundig intensivere Diskussionen unter den Abgeordneten.

 

wenn die Regierungen den „Zockern der Finanzwelt“ Regeln aufzwingen und die Realwirtschaft wieder in den Mittelpunkt der politischen europäischen Debatte gestellt wird

Während das Dilemma in den politischen Eliten immer deutlicher wahrgenommen wird, mehren sich für den aufmerksamen Gast die Fragen: Müssen nicht nach der Lehman-Pleite, deren Ursache („unkontrollierte Finanzinstrumente“) und Folgen (Pleiten aufgrund der Hebelwirkungen von Derivat-Wetten) das Finanzsystem zunehmend erschüttern, den markigen Worten der Parteien aus dem Jahre 2008, etwas gegen den „finanziellen Giftmüll“ zu unternehmen, endlich Taten folgen? Europa wird gestärkt (so denkt der Gast), wenn die Regierungen den „Zockern der Finanzwelt“ Regeln aufzwingen und die Realwirtschaft wieder in den Mittelpunkt der politischen europäischen Debatte gestellt wird. Bisher, so Friedhelm Ost, dreht es sich bei der Bekämpfung der Eurokrise mehr um einen Lösungsansatz „zwischen Pest und Cholera“, wo zu fragen und abzuwägen sei, was kostet uns ein Scheitern, was ist uns aber ein „Nicht-Scheitern“ des Europrojekts wirklich wert? Müsste nicht die politische Exekutive in den jeweiligen europäischen Staaten  ihre Macht einsetzen, um dem Recht des Gemeinwohls im Kampf gegen die „Dreistigkeiten des Finanzmarktes“ (wie Professor Kirchhoff dies  in seinem Beitrag „Verfassungsnot!“ in der FAZ vom 12.07.12 schrieb) Geltung zu verschaffen? Es handelt sich um ein Bündel von Maßnahmen- von der Isolierung „toxischer Finanzprodukte“ in den internationalen Finanzmärkten, Bankenkontrolle, Schuldeneindämmung, Stärkung  realwirtschaftlicher Innovationen und der Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche nach deutscher Erfahrung („duales Bildungssystem“) z. B.-, welche ergriffen werden müssen, um die Krise in Europa zu meistern.

Gelingen wird dies nur, wenn die Bevölkerung auf diesem Weg „mitgenommen“ wird und spürt, dass die „Dreistigkeiten der Märkte“ wirksam eingedämmt werden. Auch ein Tabu der Reorganisierung des globalen Finanzsystems darf  es nicht geben.

 

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