Jahresrückblick-Detail

Europäische Illusionen

Trump ist nicht Amerika. Deshalb wird Deutschland für die USA die wichtigste europäische Nation bleiben. Eine Antwort auf die Amerika-Kritik von Jörg Lau und Bernd Ulrich. (Ürsprünglich in Opens external link in new windowDie Zeit am 31.10.17 veröffentlicht.)

Foto Eine Frau zeigt ihr Missfallen über Donald Trump

Kein Trump-Fan: Eine Frau zeigt ihr Missfallen über Donald Trump bei einem Spiel der NFL. ©dpa/AP Photo/Gary Landers

Über 70 Jahre lang beschwor man gemeinsame Werte, um die transatlantische Partnerschaft aufrechtzuerhalten, doch jetzt ist es an der Zeit, sich auf gemeinsame Interessen der USA und Deutschlands zu berufen. Deshalb sind wir, die Unterzeichner, anderer Ansicht als Jörg Lau und Bernd Ulrich, die sich in ihrem kürzlich in der ZEIT (43/17) erschienenen Beitrag "Im Westen was Neues" faktisch für eine Loslösung des Westens von den USA unter deutscher Führung aussprechen. Dabei plädieren wir nicht aus Sentimentalität für den Transatlantizismus, sondern stellen fest, dass wir gemeinsame Interessen haben.

 

Ohne Frage bleibt Deutschland jedoch auch weiterhin die für die amerikanische Außenpolitik wichtigste europäische Nation

Lau und Ulrich vertreten die Ansicht, die USA hätten bereits vor Donald Trumps Amtsantritt damit begonnen, ihr strategisches Engagement in Europa zurückzufahren. Ohne Frage bleibt Deutschland jedoch auch weiterhin die für die amerikanische Außenpolitik wichtigste europäische Nation. Die USA können die strategische Bedeutung eines Landes nicht außer Acht lassen, das die größte Volkswirtschaft ist und dessen politisches Gewicht sich angesichts des bevorstehenden Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union nur noch zunehmen wird. Deutschland ist der sechstgrößte Exportmarkt für in den USA produzierte Waren, und mit 255 Milliarden US-Dollar belaufen sich die deutschen Investitionen in den USA auf mehr als das Doppelte der amerikanischen Investitionen in Deutschland. Wie schon die Regierung Obama erkannte, ist Deutschland für eine koordinierte Russlandpolitik des Westens weiterhin von zentraler Bedeutung. Auch ist das Land ist bei den Sanktionsmaßnahmen gegenüber Russland in der EU sowie beim Minsker Abkommen zur Ukraine die treibende Kraft. Dies und nicht eine strategische Loslösung von Europa veranlasste die Regierungsmannschaft von Barack Obama, Deutschland die Führungsrolle zu überlassen.

Außerdem hat Deutschland von allen europäischen Ländern die am tiefsten gehende, bedeutungsvollste Beziehung zu China – ein Faktor, dessen Wichtigkeit in der amerikanischen Politik künftig nur noch zunehmen wird. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind für die Werte und Interessen der westlichen liberalen Ordnung von grundlegender Bedeutung. Im Hinblick auf diese Ordnung ist die Haltung Präsident Trumps bestenfalls ambivalent. Doch anderes, als Lau und Ulrich argumentieren, ist Trump nicht Amerika und spricht in den wesentlichen außenpolitischen Fragen vielleicht nicht einmal für seine eigene Regierung. Die so genannten "Erwachsenen" in der Regierung fühlen sich weiterhin dem atlantischen Bündnis und dem Bekenntnis der USA zur NATO verpflichtet.

 

Auch Donald Trump hat deutsche Wurzeln


In vieler Hinsicht ist Trump ein Präsident sui generis, doch er greift eine Reihe Tendenzen und politische Themen auf, mit denen sich schon Präsidenten vor ihm befasst hatten, insbesondere im Bereich der Lastenteilung bei der Verteidigung und in Bezug auf verschiedene Aspekte der deutschen Wirtschaftspolitik. Allerdings steht Trump bei der Sicherheitsgarantie der USA gegenüber Europa mittels der NATO, bei der Entschlossenheit, russischen Versuchen entgegenzutreten, die europäische Sicherheitsordnung in Europa auszuhöhlen, und bei der Notwendigkeit eines breiten Bündnisses sowie eines multilateralen Ansatzes in der Weltpolitik mit seiner Einstellung ziemlich allein da. Und abschließend das Wichtigste: Die Beziehung zwischen den USA und Deutschland steht auf einer breiten Basis, die tief in der Zivilgesellschaft verankert ist, auch im Privatsektor, in der Wissenschaft und in der weiter gefassten kulturellen Beziehung. Über 50 Millionen Amerikaner (17% der Gesamtbevölkerung) können noch immer ihre Abstammung bis zu ihren deutschen Wurzeln zurückverfolgen (so auch Donald Trump). Dies bedeutet, wie es in dem deutschen Beitrag ganz richtig heißt, dass die Beziehung zwischen den beiden Ländern weit über das Weiße Haus hinausgeht, vom Kongress bis hin zu den Bundesstaaten und zur lokalen Ebene – dies sind entscheidende Faktoren, die Lau und Ulrich völlig außer Acht lassen. Diese institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Verbindungen sorgen für Stabilität und Berechenbarkeit in einer Zeit, in der die deutsch-amerikanischen Beziehungen von Unsicherheit geprägt sind und mit neuem Leben gefüllt werden sollten.

Deutschland muss seine Verteidigungsfähigkeit weiter ausbauen und in der europäischen Sicherheitspolitik weiterhin eine Rolle ausfüllen, die seiner wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung entspricht. Wie Lau und Ulrich anmerken, müssen Europa und Deutschland jetzt erwachsen werden. Während des Wahlkampfes wurden in Deutschland Forderungen laut, die sich gegen höhere Verteidigungsausgaben richteten und damit begründet wurden, man würde sonst dem Druck von Seiten Donald Trumps nachgeben. Dies ist völlig haltlos und lässt zudem die entscheidenden strategischen Herausforderungen außer Acht, vor denen Deutschland steht. In den Vereinigten Staaten besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die USA im Bereich Verteidigung überstrapaziert sind und dass insbesondere die Europäer hier mehr leisten müssen. Übernimmt Deutschland jedoch sowohl innerhalb der NATO als auch innerhalb der EU bei der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit eine bedeutendere Rolle, wird man dieses Engagement nicht in Frage stellen. Angesichts seines hohen Haushaltüberschusses sollte Deutschland umgehend weitreichende Maßnahmen zur Modernisierung seiner militärischen Fähigkeiten und seiner verteidigungsindustriellen Basis ergreifen.

 

Die größte Herausforderung im Bereich Handelspolitik haben ihren Ursprung in China und seinem staatskapitalistischen Wirtschaftsmodell

Sagen wir es deutlich: Die größte Herausforderung im Bereich Handelspolitik haben ihren Ursprung in China und seinem staatskapitalistischen Wirtschaftsmodell. In dieser Hinsicht trifft Obamas Ausspruch "Wenn wir die Regeln nicht festlegen, wird China das tun" noch immer zu. Aber weder Deutschland noch die EU sind alleine stark genug, um China dazu zu zwingen, sich an die westlichen Regeln zu halten, deren Grundlage Offenheit und Rechtsstaatlichkeit sind. Wäre die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union erfolgreich beschlossen worden, hätte man mit ihr dieses Ziel erreichen können. Aber hier bestand das Problem nicht darin, dass sich die USA von der liberalen Wirtschaftsordnung abgewandt hätten. Vielmehr hat Deutschland dies getan – weil es irrigerweise auf die imaginären Übel des amerikanischen Kapitalismus fixiert ist statt auf die absolut realen aus China.
Es gibt keinen post-amerikanischen, sondern einen post-liberalen Westen

Beim von Lau und Ulrich angesprochenen Thema des geistigen Eigentums – sowie außerdem beim Nichtmarktwirtschafts-Status Chinas in der WTO, bei der Auswahl von Investitionen, bei handelspolitischen Schutzmaßnahmen sowie bei der Rolle staatlicher Unternehmen in der Weltwirtschaft – hätte Deutschland in der Regierung Trump ein gleichgesinntes Gegenüber. Deren Handelsbeauftragter Robert Lighthizer hat sich mehrfach positiv über die Europäische Union als Partner der USA beim Schaffen eines gerechteren Welthandelssystems geäußert. Zwar sollte es keinen Neustart für TTIP geben—auch nicht mit neuen Inhalten und unter neuem Namen –, solange die Verhandlungen zu NAFTA noch laufen. Doch Deutsche wie Amerikaner würden davon profitieren, wenn sie den Dialog zu dieser vorteilhaften Handelsagenda aufrechterhalten.

 

Deutschland ist nun weniger in der Position, der Regierung Trump Vorträge über Grenzkontrollen zu halten

Neben den oben angesprochenen Bereichen gibt es im Anschluss an die Wahl in Deutschland bei der Flüchtlingsfrage mehr Möglichkeiten für die Zusammenarbeit. Die Wahl sowie das Erstarken von AfD und die zunehmende flüchtlingsfeindliche Stimmung in Deutschland erwähnen Lau und Ulrich nicht einmal. Die neue deutsche Regierung wird in diesen Fragen vermutlich konsequenter durchgreifen, was sich durch die Einigung zwischen CSU und CDU auf eine Obergrenze in der Flüchtlingsfrage abzeichnet. Deutschland ist nun weniger in der Position, der Regierung Trump Vorträge über Grenzkontrollen zu halten. Und es bestehen durchaus Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei den Themen Menschenhandel sowie Begrenzung des Flüchtlingszustroms.

Dies sollte mit Bemühungen zur Unterstützung derjenigen Regionen einhergehen, aus denen starke Flüchtlingsströme kommen. Lau und Ulrich lassen in ihrem Beitrag das krasse Bild eines Amerikas entstehen, das von wachsender Ungleichheit und zunehmendem Rassismus geprägt ist – und berücksichtigen dabei nicht, dass es in Deutschland ähnliche Tendenzen gibt. Das gesellschaftliche Gefüge bröckelt auf beiden Seiten des Atlantiks. Wie gut wir mit dem gesellschaftlichen Wandel zurechtkommen – der sowohl das Ergebnis von Migration als auch von Faktoren wie der schnellen Digitalisierung und eines sich wandelnden Wesens der Arbeit ist – wird darüber bestimmen, wie wir als Gesellschaften weiter wachsen und gedeihen. Auch hier können Deutschland und die Vereinigten Staaten von einer stärkeren Zusammenarbeit profitieren.

Es gibt keinen post-amerikanischen Westen, sondern leider einen post-liberalen Westen, der einen größeren Teil von Europa umfasst, als Lau und Ulrich sich eingestehen wollen.

Aus dem Englischen von Bettina Röhricht.

Die Autoren:

Jackson Janes
President, American Institute for Contemporary German Studies

Peter S. Rashish
Senior Fellow and Director, Geoeconomics Program
American Institute for Contemporary German Studies

Steve Szabo
Senior Fellow, American Institute for Contemporary German Studies

Lily Gardner Feldman
Director, Society, Culture and Politics Program, American Institute for Contemporary German Studies

Daniel Hamilton
Executive Director, Johns Hopkins University SAIS Center for Transatlantic Relations

Steve Sokol
President, American Council on Germany

Jeffrey Anderson
Director of BMW Center for German and European Studies Georgetown University

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