Sonderbeitrag

Geheimdienste in der Diskussion: Der Bundesnachrichtendienst heute

Es geschieht nicht oft, dass ein seit längerem feststehender Diskussionstermin im Mid- Atlantik Club Bonn, der sich mit der Rolle der Geheimdienste in Deutschland befasst, an einem Tag Anfang März stattfindet, an dem sich seriös gebende Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung neun (!) Artikel zum Thema Geheimdienste veröffentlichen FAZ, 9.3.17).

Photo Dr Hans Georg Wieck und Friedhelm Ost

Dr Hans Georg Wieck und Friedhelm Ost, MAC-Bonn Mittagsgespräch im März 2017

Anlass waren Berichte über Hackerangriffe, die angeblich auch aus dem in Frankfurt ansässigen amerikanischen Generalkonsulat auf verschiedene Ziele im In- und Ausland, zum Beispiel der berühmt gewordene Angriff auf das Handy der Kanzlerin («Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht») organisiert worden seien. Die Plattform Wikileaks hatte tausende Seiten, die von einer undichten Stelle in amerikanischen Geheimdiensten vermutlich „durchgestochen“ oder von außen gehackt wurden, veröffentlicht. FAZ lockte mit Aufmachern auf der Titelseite: Berlin nimmt Meldungen über Hackerangriffe der CIA ‘sehr ernst‘, und in der Unterzeile wird bedauert: Keine eigene Erkenntnisse/ Washington schweigt/ FBI untersucht Datendiebstahl. An anderer Stelle fällt die Schlagzeile ins Auge: Die ausspionierten Spione –Wie sicher sind unsere Geheimdienste und wie sicher sind wir vor ihnen?

Just an diesem Tag spricht Dr. Hans Georg Wieck, ehemaliger Präsident des BND (1985-90) und ehemaliger Botschafter an verschiedenen Brennpunkten der Welt, u.a. in Moskau (1977-80) und später bei der NATO (1990-93) über „Demokratie und die Geheimdienste“. Gleich zu Beginn wurde klar, dass eine geschichtliche Betrachtung über den Umgang mit den Geheimdiensten in Deutschland dem sehr erfahrenen Diplomaten und Geheimdienstkenner (Jahrgang 1928) am Herzen liegt, um die Aufgaben der Dienste heutzutage klarer herausarbeiten zu können. Der Bogen von den Anfängen des Bundesnachrichtendienstes bis heute sollte eine Orientierung  in einer immer noch sehr politisierten Debatte um die Arbeitsweise des Geheimdienstes ermöglichen. (Man denke nur an den langwierigen NSA Untersuchungsausschuss, den sich dahin quälenden NSU Debatten und auch an die Aufarbeitung der BND Geschichte, bei der in vier Studien, die bisher vorliegen -erstellt von einer unabhängigen Historikerkommission-, der Charakter des „belasteten“ Beginns durch die Übernahme der Organisation Gehlen aufgearbeitet wird.)

Das Thema „Demokratie und die Nachrichtendienste in der BRD“ (nur kurze Anmerkungen fallen zum neuen BND Gesetz) wird vom Redner zu einer Zusammenschau der Entwicklung der Geheimdienste seit Ende des Krieges, vor allem auch mit Blick auf die Siegermächte und ihr Verhalten, erweitert.

 

Demokratie und Nachrichtendienste

Dabei beschreibt Wieck das Spannungsverhältnis zwischen Geheimdienst und Demokratie, das anfängliche Misstrauen der Politik gegenüber dem Geheimdienst  in  der Gründungszeit nach Ende des zweiten Weltkriegs, der Zeit der Bonner Republik und in der Berliner Republik. Mit dem Neubau der BND-Zentrale in Berlin könnte jetzt sichtbar werden, dass trotz aller kontroverser Debatten die Chance zu einem effizienteren „reiferen“ Verhältnis zwischen politischer Führung und dem BND wachsen könnte und damit die Arbeitsweise gesellschaftlich besser gestützt und trotz aller notwendigen operativen Geheimnisse „öffentlich verständlicher“ würden.

 

die Rolle der NATO im Wahlkampf in Zweifel gezogen und damit die Europäer verunsichert hatte



Wieck, der viel publiziert und sich in zahlreichen Vorträgen profund zu Fragen der Geheimdienste und ihrer Aufgaben geäußert hat, beschreibt die gegenwärtige Lage als “ernst“, da erstens Russland wegen seiner geographischen Lage unser Nachbar ist, ein  Russland, das als strategische Weltmacht anzusehen sei und aufgrund seiner Nuklearwaffen jedes europäische nichtnukleare Land erpressen kann; es sei denn, die USA leistet dem angegriffenen Land Beistand, wie dies immer seit 1949 geschehen ist. Zweitens seien nach dem Amtsantritt von Präsident Trump, der die Rolle der NATO im Wahlkampf in Zweifel gezogen und damit die Europäer verunsichert hatte, Einfuhrzölle gefordert worden; dies sei ernst zu nehmen.

Deutschland ist in Europa „eine Schlüsselmacht“ und hat demnach in der nachrichtendienstlichen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit den anderen NATO Staaten eine herausragende Verantwortung. Zum Kernbereich der Geheimdienste gehört die Aufgabe, die innere und äußere Sicherheit, für die die Regierung die politisch die Verantwortung trägt, mit den nötigen „Fakten abzustützen.“ Man sollte wissen, welche Gefahren von internationalen Terrorbanden oder Deutschland feindlich gesonnenen Staaten drohen. Wenngleich Erkenntnisse zur inneren Sicherheit zu den Aufgaben des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und der Landesämter zählen, so können Informationen, die nachrichtendienstlich im Ausland über ausländische Kräfte gesammelt werden, von entscheidender Bedeutung sein. Der Austausch von handlungswichtigen Daten ist jedoch abhängig von dem Vertrauensverhältnis der Dienste anderer Staaten, auch der befreundeten, zu den deutschen Diensten.

 

wie wichtig der allmähliche Vertrauenszuwachs in der internationalen Zusammenarbeit sei


Wieck betonte, auf verschiedene Fragen in der Diskussion eingehend, wie wichtig der allmähliche Vertrauenszuwachs in der internationalen Zusammenarbeit sei. Dabei ist einerseits das Trennungsgebot von der Gewinnung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und der Strafverfolgung (dies gilt  ja bekanntermaßen für den BfV wie auch den BND) von großer Bedeutung (dies unterscheidet sich von den Möglichkeiten, die CIA- oder MI6- Agenten haben). Umgekehrt ist es sicher ebenso wichtig für Deutschland, dass im Gegensatz zu den meisten Diensten anderer Länder der BND Aufklärung für alle sicherheitspolitisch relevanten Ministerien zusammen tragen kann.

 

Parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste

Außerordentlich wichtig ist für Wieck die „parlamentarische Kontrolle“, denn der demokratische Staat kann nur dann seine Abwehrfunktionen ausführen, wenn volles Vertrauen und die geeignete Transparenz der Dienste gegeben ist. Dabei ist das Spannungsverhältnis zwischen operativen Vorgängen, die geheim ablaufen müssen, und der geforderten Transparenz offensichtlich. Die Tatsache, dass erst vor wenigen Wochen ein neues BND-Gesetz verabschiedet wurde, nachdem in den 1990er Jahren nur ein vorläufiger gesetzlicher Rahmen für den BND geschaffen worden war (das Bundesamt für Verfassungsschutz erhielt bereits 1950 eine gesetzliche Grundlage), zeigt deutlich, wie schwer sich die politische Führung tat, die Aufgaben des BND und die rechtlichen Bestimmungen zu kodifizieren. (Dies war ein spezieller Teil der Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg und der Rolle Amerikas, wie Wieck anschaulich an Beispielen darzustellen wusste.)

 

ganz gewiss eine neue Führungskultur im Nachrichtendienst, ein besseres professionelles Zusammenwirken („Vertrauen“) zwischen den Geheimdiensten anderen NATO Staaten und Ländern bewirken werde


Zusätzlich zu den parlamentarischen Kontrollgremien ist im neuen Gesetz  ein unabhängiges Gremium vorgesehen, bestehend aus Bundesrichtern und Anwälten („nur Juristen“, wie Wieck in der Diskussion kritisch anmerkte), das den parlamentarischen Kontrollgremien zu berichten hat.Wieck betonte  bemerkenswerterweise, dass ganz gewiss eine neue Führungskultur im Nachrichtendienst, eine jüngere Generation in führenden Positionen der mehr als 6000 Mitarbeiter des BND (laut Webseite des BND), das Verhältnis zwischen der politischen Führung und den operativen Herausforderungen, ein besseres professionelles Zusammenwirken („Vertrauen“) zwischen den Geheimdiensten anderen NATO Staaten und Ländern bewirken werde. Dies gilt insbesondere z.B. für die USA (aber auch die übrigen der „Five Eyes“ Staaten: Kanada, Australien, Neuseeland und Großbritannien), deren technische Aufklärung – wie Deutschland in der Terrorismusbekämpfung erfahren hat – umfassender ist, als die bisher entwickelten deutschen Möglichkeiten. Wichtig ist dabei ein zeitnah fokussierter Datenaustausch. Für den BND stelle sich eine herausragende Aufgabe, so Wieck, Vertrauen von der „Basis zur Leitungsebene“ wieder stärker aufzubauen.

In einem früheren Mittagsgespräch des MAC hatte der Abgeordnete Kiesewetter am Beispiel der Öffnung der Bundeswehr für Spezialisten im Umgang mit der digitalen Welt dargelegt, dass man neue Anstellungsformen und Änderungen der gewohnten militärischen Abläufe entwickeln müsse, damit die neue Generation von „technikaffinen“ Spezialisten z.B. in der Abwehr von Cyberangriffen  eingestellt werden können. Hackerangriffe lassen sich nicht nur mit einer kontinuierlichen „Härtung“ der Kommunikationswege abwehren,  sondern auch mithilfe der Fähigkeiten der neuen Generation, die mit Internet, modernen Kommunikationsverhalten und Informationssystemen aufgewachsen ist. Abgesehen von der Sensibilität im Umgang mit der Privatsphäre, die aufgrund der deutschen Debatte um den Datenschutz besser entwickelt ist als in vielen anderen Staaten,  sind die Fähigkeiten zu einer effizienteren Aufklärung, unter Einbeziehung dieser neuen Talente, überlebenswichtig.

Vieles von dem, was der ehemalige BND-Präsident und im Auswärtigen Dienst versierte Fachmann Wieck geschichtlich und grundsätzlich zum Verhältnis der Geheimdienste im demokratischen Staat, in Deutschland und Europa, dicht gedrängt darzustellen wusste, kann die Diskussion um die Arbeitsweise des Bundesnachrichtendienstes versachlichen und zu einer neuen Wertschätzung in der öffentlichen Wahrnehmung führen.

 

 

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